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Einwurf 102: Service public


Jedes Jahr müssen wir 350 Franken Radio- und Fernsehgebühren bezahlen. Damit soll der Staat eine verfassungsmässige Kultur-, Bildungs- und Informationsaufgabe wahrnehmen. So weit so gut. Im Kern macht er das nicht schlecht, am Radio sogar hervorragend («Rendez-vous», «Echo der Zeit», Spartenmagazine). Aber darüber hinaus wird stundenlang Zeug ausgestrahlt, welches mit der genannten Aufgabe sehr wenig bis überhaupt nichts zu tun hat.

Schauen wir uns doch mal das Fernsehprogramm von SRF 1 und SRF 2 eines Wochenendes an, wenn die Leute länger vor der Glotze hocken. (Vielleicht handelt es sich dabei auch um einen Computer, ein Tablet oder ein Handy, egal). Am Morgen des 19. Januar (Samstag) sang zum Beispiel auf SRF 1 Cecilia Bartoli. Dann kam eine Reportage über die «Radiolegende» Bernhard Schär (das ist ein bis auf Weiteres immer noch berufstätiger nationalistischer Roger Federer-Phrasendrescher) und anschliessend eine Sendung über die «Wunder der Jahreszeiten». Unterdessen brachte SRF 2 einen Trickfilm mit dem Titel «Die Eiskönigin – Völlig unverfroren», bevor man hier dann auf sage und schreibe neun Stunden Skisport umschaltete. Neun Stunden lang Skisport, das ist doch komplett wahnsinnig! Gut, das Lauberhornrennen. Aber dafür reichen 1 ½ Stunden längstens aus; es braucht nie und nimmer eine Stunde mehr für nichts als hirnlose Interviews und lästige Werbung. Und wer ums Himmels Willen schaut 1 ½ Stunden lang Frauenstaffel-Biathlon? Ich kenne niemanden. Um 19 Uhr dann eine halbe Stunde lang «Siegerehrung live», zur besten Sendezeit also ein absolut letztrangiges Kultur-, Bildungs- und Informationsmodul. Auf der gleichen Schwindelhöhe bewegte sich das Abendprogramm: Ein alter Bond und ein Thriller genannt «Whiteout». Nichts gegen gute Unterhaltung, aber dafür soll man 350 Stutz Zwangsgebühren zahlen?

Klar, man hätte nach den «Jahreszeiten» auf SRF 1 bleiben können. Statt Biathlon Frauen brachten sie dort «Polizischt Wäckerli», einen Krimi aus dem Jahr 1967, gefolgt von einem Kracher mit dem Titel «Ich kann das besser» und einer anderen grossspurig angekündigten Bombenshow, die «FENSTER ZUM SONNTAG» heisst. Und wer von der Lauberhornsiegerehrung unterfordert war, der wurde mit einem «Samschtig-Jass» und bis um halb elf Uhr mit Susanne Kunz entschädigt. Die hielt sich auf einer Spielinsel auf, wo man «witzige Fragen» von René Rindlisbacher beantworten musste. Auch die Tochter von René Rindlisbacher stellte «witzige Fragen». Kurz vor Mitternacht erschien schliesslich Kommissar Wallander, im Ernst wahrscheinlich noch der anspruchsvollste Tagesbeitrag, aber der dauerte bis um 01:20 Uhr, und wer hat dann noch Lust darauf und Kraft dafür?

Am Sonntagmorgen ist SRF 1 okay, das muss man anerkennen. Dafür schoss am 20. Januar SRF 2 den Vogel ab, mit «Mein Freund, der Delfin ab 05:50 Uhr, viermal hintereinander «nano» (das ist wohl ein schweres Frühstück mit vier Zwergen) und der Wiederholung von FENSTER ZUM SONNTAG. Erstaunlicherweise wurde keine Kochsendung wiederholt, auch der «Samschtig-Jass» und die Lauberhornsiegerehrung nicht, aber neun weitere Stunden Sport liessen das wohl gar nicht mehr zu. Im Zentrum stand diesmal der Biathlon der Männer. Wer den verpasst hatte, dem war wirklich nicht mehr zu helfen, selbst mit dem hochkarätigen Automagazin Tacho nicht (ab 19:30 Uhr).

Doch halt, die interne Konkurrenz (SRF 1) schläft nie. Mit ihr ging es an diesem Sonntagnachmittag auch: «Auf und davon», «Ungezähmte Wildnis», «Aufzucht in der Wildnis», «Turkmenische Hochzeit», «Basare der Welt», «Glanz und Gloria» usw. Was hier einfach noch fehlte, war etwas über das Verhältnis zwischen Katzen und Hunden und eine Beglückung mit bunten Fischen in einem gestylten Aquarium. Der «Tatort» am Abend ist zwar immer grottenschlecht, wurde aber von Journalisten, welche mit ihnen befreundete Schauspieler hochschaukeln, in einen «Kultstatus» hineingeschrieben. Das Lauberhorn hat das nicht nötig, und darum kam es am 20. Januar halt auch nochmals im Nachtprogramm von SRF 1. Als hätte Dante Alighieri persönlich Regie geführt: Vom Rassenfanatiker «Böörni» Schär (Inferno) durch das «Kernen-S» (Purgatorio) hinauf zum überwältigenden «Licht des Schicksalsbergs» (Paradiso).

Kein Grund also, zu SRF 2 zurückzuschalten, zu Abenteuerfilmen wie «The Revenant». Auch da gab es zwar wieder Kultur, Bildung und Information zuhauf, die Wissenschaft der blutigen Fratzen im «Praxisbezug» und so. Doch wir hatten schon vor jenem Zeitpunkt das Nobelpreisticket im Sack. So viel kompakte Genialität quasi zum Nulltarif, das ist ultimativer, erstklassiger Service public. 350 Franken Jahresgebühren sind viel zu wenig, 3500 sollten es sein. Wir sind echt verwöhnt. Selber schuld, wer in der Woche 4 nächtelang öligen Frauenbiathlon und bekiffte Halfpipes gekotzt hat.

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