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Einwurf 119: Systemwettbewerb


Im 20. Jahrhundert hatten wir die Berliner Mauer und den Eisernen Vorhang; es ging um Kapitalismus gegen Kommunismus und um Rechts gegen Links. Für das 21. Jahrhundert hingegen zeichnet sich nun klar ein Antagonismus zwischen faschistischer Diktatur und ökoliberaler Sozialdemokratie ab.

Die faschistische Diktatur setzt auf Technik, Mobilität (Raketen, Flugzeuge, Autos, Smartphones), Digitalisierung, Roboter, künstliche Intelligenz, Eugenik, Klone und Cyborgs. Ihre führenden Agenturen und Instrumente sind gefrässige Silicon Valley-Elefanten, ideologischen Schwachsinn absondernde Medienkonzerne und das organisierte Verbrechen (Grossbanken, Consultants, Lobbyisten, Parteien, Geheimdienste, Mafia, Auftragsterroristen). Ihre «Führungskräfte» sind asoziale und umweltfeindliche raffgierige Abzocker. Für sie ist Adolf Hitler kein Verbrecher gegen die Menschlichkeit, sondern der Messias der Welt der Zukunft. Öffentliche Schulen schaffen sie ab; so etwas wie «Bildung» findet nur noch online im Schlafzimmer statt. Auch die Errichtung von Vernichtungslagern erübrigt sich; im Kasinokapitalismus erledigt sich die Ausmerzung unerwünschter «Brunnenvergifter» von selbst. Das «Kanonenfutter» besteht aus gesellschafts-unkritischen, bequemlichkeits- und genussanfälligen, Fleischgebirge verschlingenden, plastikversessenen, debile Fernsehserien herunterspulenden, gedanken- und pausenlos in der Weltgeschichte herumfurzenden geistigen Analphabeten, die dem Nachahmungstrieb ausgeliefert sind und in Existenznöte geraten, wenn ihr Nachbar ein teures Auto gekauft hat. Sie betrachten künstlichen Stress, chronische Neurosen und den finalen Burnout als postmoderne Selbstverständlichkeiten, gegen die man nichts machen könne: Genau das, was aufgeblasene Pharmakonzerne und Rehakliniken hören wollen.

Auf der Gegenseite befinden sich alle jene, denen ein friedliches Zusammenleben, stabile Beziehungen, sinnvolle Arbeit, schöne Künste, Menschenrechte und eine intakte Natur die höchsten Werte sind. Zu ihrer Lebensqualität gehören Vernunft, Vertrauen, Solidarität, Kooperation und Toleranz; sie setzen auf humanistische Bildung und Gesinnungsethik. Ihre Stosstrupps sind scharfzüngige Komiker, unerschrockene NGOs, investigative Journalisten, unbestechliche Verfassungsrichter und raffgierresistente Währungshüter. (Wann erhält Herr Draghi endlich den Karlspreis?)

Klar müssen auch Algorithmen-Bastler und DNA-Mixer mehr können als Bierflaschen öffnen und Pizzen herunterwürgen, und umgekehrt freuen sich auch ökoliberale Sozialdemokraten über den praktischen Nutzen von elektronischen Installationen oder über spektakuläres Computerdesign. Aber im Kern ihrer Grundeinstellungen sind sich die beiden Welten völlig fremd. Die Frage ist nur, wer sich alles in allem letztlich durchsetzt, diesen neuen Systemwettbewerb also für sich entscheiden kann, wenn der so genannte «digitale Graben» dereinst (wie der Eiserne Vorhang) wieder verschwindet. «So genannt» deshalb, weil der «digitale Graben» eigentlich gar kein "technischer" und auch kein "ökonomischer" ist, sondern der Abgrund zwischen humanistischen Werten und jenen der eingangs aufgeführten Repressionsmonstren.

Man könnte nun sagen, die Frauen würden den Ausschlag geben. Das spricht zwar für die Demokratie, aber wenn es um Sicherheitsfragen geht, wechseln auch vernünftige Frauen gerne mal die Front. Auch die Optimisten der Jahre 60er- und 70er-Jahre hätten auf die Demokratie gewettet, doch viele von denen sind jetzt tot, oder sie haben resigniert. Oder sie haben ihrerseits längst wieder das Lager gewechselt, weil sie die 68er-Bewegung ausschliesslich als «alternative Machterlangungshilfe» missbrauchten.

Vielleicht kommen Sie über die griechischen Tragödien, das Inferno der Göttlichen Komödie, die chaotischen Gemälde von Bosch und Dalí, das Frühlingsopfer, die Zwölftonmusik oder die Romane von Houellebecq (und ganz neu von Sibylle Berg) zu einer soliden Prognose.

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