Einwurf 438: Gesellschaftliche Bruchlinien
Gerade ist in der Schweiz viel vom Stadt-Land-Graben die Rede. Für die einen ist er ein Riesenproblem, für andere hingegen kaum der Rede wert, allenfalls noch ein kleiner Graben unter vielen weiteren.
Es gibt tatsächlich mehrere gesellschaftliche Bruchlinien, doch nicht alle sind gleich relevant. In Europa zum Beispiel spielen die religiösen Gräben keine entscheidende Rolle mehr. Einen Religionskrieg kann man sich hier gar nicht mehr vorstellen. Auch für einen marxistischen Klassenkampf Proletariat gegen Bourgeoisie braucht es mittlerweile schon die Fantasie eines geistigen Irrläufers. Erfreulich ist zudem, dass Sprache, Ethnie und Rasse seit dem Zweiten Weltkrieg und mit der Europäischen Union ebenfalls keine Themen mehr sind, mit denen sich Leute dauerhaft gegeneinander aufhetzen lassen. (Ausnahmen sind nicht die Regel.)
In den Bereichen Gender und sexuelle Orientierung sind zwar noch grössere und kleinere «Gaps» vorhanden, aber auch hier sind wir tendenziell gut unterwegs, nicht nur in Europa.
Nun gibt es aber weltweit vier «Bruchlinien der Zukunft», deren Gräben sich massiv verbreitern und die direkt in einen typenreinen Faschismus führen, wenn an ihren Rändern keine handfesten Reformstrategien greifen. Teilweise überschneiden sich diese Gräben (etwa bezüglich der «Migration» oder der «Generationen»); der Einfachheit halber führen wir sie aber separat auf. Es geht um die Bewirtschaftung von 1. der massiven Vermögensumverteilung von unten nach oben, 2. der nicht minder massiven Zerstörung der natürlichen Umwelt («Klima» inbegriffen), 3. der durch die IT-Monstren begünstigten Manipulation von öffentlichen Meinungen und Angriffe auf das Privatleben, und 4. eben des Gegensatzes von Stadt und Land.
Dabei ist dieser Stadt-Land-Gegensatz effektiv das grösste Gift, das uns heimsucht. Denn da reden wir nicht nur themenspezifisch von «Brüderlichkeit», «Gleichheit», «Gesetz» und «Geld» und je nachdem von der Finanz-, Rohstoff-, Pharma- oder IT-Branche, sondern übergeordnet von «Freiheit» und «Geist». Hier sind die «Werte» von Stadt und Land unvereinbar. «Stadtluft macht frei» und «Macht euch die Erde untertan»: Das passt definitiv nicht zusammen und ruft immer lauter nach politischer Entflechtung.
Wer das nicht will, führt neben anderen Bruchlinien gerne die «Agglomerationen» ins Feld, welche die Grenzen verwischen bzw. die Grenzziehungen verunmöglichen würden. Aber Agglomerationen bilden sich nicht irgendwo, sondern immer um Zentren herum. Folglich gehören auch sie zu einer Stadt, und Minoritäten hat man überall. Politisch müssen also die Ballungsregionen von jenen Gegenden getrennt werden, in denen kleine Ortschaften (bis hin zu Kleinstädten) dominieren oder wo kaum jemand wohnt. Sonst bewegt sich rein gar nichts mehr und der Stadt-Land-Graben wird so unerträglich gross, bis ein faschistischer Diktator (eine Frau dürfte es wohl nicht sein) dem Schlamassel ein Ende setzt (und handkehrum noch viel grössere Probleme schafft). Wie das abgehen könnte, haben sie in den «megatrendigen» USA ja schon mal ein bisschen ausprobiert.
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