Einwurf 135: Idealisten-Bashing
Idealisten-Bashing hat es schon immer gegeben, nicht erst heute im Internet. Auch Karl Popper und seine Schüler haben das gemacht und machen es immer noch. Im Fokus des «intellektuellen» Bashings steht dabei regelmässig der griechische Philosoph Platon. Im Gegensatz zu dessen «realistischem» Schüler Aristoteles (den man sich ohne den Lehrer ja eigentlich gar nicht vorstellen kann), gilt er als «böse», weil er die Macht des Geistes über die Macht des Körpers gestellt hat. Von daher müsste man wie Nietzsche, der in Platon so etwas wie einen «Vorchristen» sah, auch Jesus verteufeln. Aber das getrauen sie sich dann doch nicht und beweisen damit einmal mehr ihre unkritische, ideologiegesteuerte «Unlogik der Forschung».
Richtig ist, dass viele «Idealisten» gar keine sind und zu «realistischen» Monstren mutieren, sobald sie an die Macht gelangen. Auch Karl Marx hat klar unterschätzt, dass seine «historische Zwischenphase» der Diktatur des Proletariats nicht in den humanistischen Kommunismus führt, sondern in den rechtsextremen Totalitarismus. «Sozialfaschisten» nannte Mao die Stalinisten, bevor er selber ein Sozialfaschist wurde, mit allem Drum und Dran (Auschwitz, Gulag usw.).
Auch im Personal der nord-, zentral- und westeuropäischen Sozialdemokraten (bis hinab nach Zürich) hat es haufenweise arrogante Sozialfaschisten, nur können die hier zu ihrem Leidwesen ihr braunes Potenzial kultur- oder systembedingt nicht uneingeschränkt wahrnehmen. Schon in Ost- und in Südeuropa geht das viel besser. Wissen Sie zum Beispiel noch, wer Bettino Craxi war? Eher nicht, aber wir alle wissen jetzt sehr gut, wie «kommunistisch» oder eben «sozialfaschistisch» die chinesische Regierung immer noch ist. Dass sie sich trotz ihrer Toleranz von kapitalistischen Exzessen nie von Mao distanziert hat, macht Sinn. Denn der digitale Überwachungsstaat, den sie im Laufe der vergangenen Jahre aufgebaut hat, schlägt jeden einzelnen der rechtsextremen Militär-, Polizei-, Wirtschafts- und Finanzdiktaturen, die wir bisher gekannt haben.
Genuine Idealisten sind keine «Sozialfaschisten», weder potenzielle noch reale. Daher ist es nicht nur kreuzdumm, sondern schon fast kriminell, die einen mit den anderen gleichzusetzen.
Um 1750 herum hätte garantiert eine riesige Mehrheit darauf gewettet, Menschenrechte seien nichts als «kontraproduktives» akademisches Gefasel und absolut nicht «realisierbar». Heute wetten die Leute dasselbe über den Klimawandel. («Auch arme Afrikanerinnen wollen doch jeden Tag eine Tonne Fleisch auf ihren Tellern».) Damals brauchte es einen wie Napoleon, um die idealistische Agenda, von der gerade auch Leute wie Popper und Hayek profitiert haben, europaweit durchzudrücken. Das war mit erzbrutalen Völkerschlachten verbunden. Wollen wir das auf globaler Ebene im ökologischen Kontext wiederholen?
Eben. Dann hören wir endlich auf, (wahre) Idealisten schlecht zu machen und deren Empfehlungen zu ignorieren oder nicht ernst zu nehmen. Denn wenn wir das tun, freuen sich vor allem jene, welche nichts anderes im Kopf haben als Menschen und Natur mit Füssen zu treten, also die lupenreinen Faschisten ohne jedes Adjektiv.