Einwurf 181: Der Befreiungsschlag
Am 29.11.2019 hat es ein Journalist des «Tages-Anzeigers» gewagt, das Wort «obszön» mit Roger Federer in Verbindung zu bringen. Das geschah vor dem Hintergrund einer Serie von «Showspielen» in Lateinamerika und war für mich so etwas wie ein längst fälliger Befreiungsschlag aus einem totalitären Würgegriff. Der Text macht nämlich (durchwegs seriös) auf die Abgründe aufmerksam, welche sich hinter Federers «Teflonauftritten» auftun. Ergänzend dazu noch das: Kürzlich habe ich in Tokio ein wenig im peppig aufgemachten Flagship-Store von Uniqlo «herumgewühlt». Die Qualität der Klamotten dort ist sehr gut, die Preise sind aber so niedrig, dass man sich kaum vorstellen kann, keine (Festland-)Sklavenarbeit in den Fingern zu haben. (Die natürlich nicht von den tennisbegeisterten «Systemmillionären» aus Hangzhou verrichtet wurde.)
Federer zu kritisieren ist Gotteslästerung, und wenn es um Religion geht, hört der Spass auf. Das lehren uns nicht nur der Islamische Staat und die jüdischen Siedler in Palästina. Kein Wunder, hat der «Tages-Anzeiger» schon am 30.11.2019 postwendend und vorsorglich mit einem anderen hauseigenen Journalisten zurückgeschossen. Typisch aber auch für den: Der fantasielose Griff in die unterste Schublade, und das ist mit penetranter Regelmässigkeit der Neid. (Nb: Das machen bekanntlich nur jene, die ein negatives Menschenbild haben und selber neidisch ticken.) Aber wieso um Himmels willen soll ich auf jemanden neidisch sein, der ein Leben lang nichts anderes macht als Bälleli über ein Netz zu hauen und für schwachsinnige Reklamen zu posieren? Das ist doch einfach nur lächerlich. Allein schon die Arbeit einer Scheissenputzerin in einem indischen Slum ist hundertmal anspruchsvoller, lebenswichtiger und somit auch «heldenhafter». Gut, der Roger ist sicher ein netter Kerl, aber wer ist das nicht, wenn er nicht gerade für die SVP im Nationalrat hockt?
Ja, Federer hat seine eigene gemeinnützige Stiftung, doch wem es wirklich ernst ist mit dem sozialen Engagement, der setzt jetzt nicht mehr bloss auf «Almosen», sondern auf die «Konzernverantwortungsinitiative». Auch Federer kann das selbstverständlich immer noch machen; die Abstimmung wird wahrscheinlich im kommenden Jahr stattfinden. (Es sei denn, seine Sponsoringverträge aus der freien Marktwirtschaft verbieten ihm das.)
Letztlich geht es jedoch gar nicht um die Person Federer, sondern um eine im Interesse von Politik und Wirtschaft inszenierte kollektive Geisteskrankheit («Botschafter», «Vorbild», «Identifikationsfigur»): Brot und Spiele im 21. Jahrhundert. Ablenkung und Verblödung, eine Giftmischung aus Mark Zuckerberg und Xi Jinping, nicht nur schnell in Lateinamerika, sondern dauerhaft weltweit. Auch die neuen Münzen gehören dazu, als Nächstes kommen die Denkmäler, dann die Kapellen, dann die Kathedralen und am Schluss zu Lasten einer kitschpatriotischen urschweizerischen «Gesslerkolonie» (Einwurf 180) noch ein neuer Staat (der Bälleli-Vatikan).