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Einwurf 329: Cultural lives matter


Die freien Künstler/innen jammern, sie würden durch die Netze der staatlichen Corona-Krisenprogramme fallen, obwohl auch die Kultur überlebenswichtig und somit «systemrelevant» sei. Damit haben sie natürlich vollkommen Recht. Schon die «Normalzustandsbehauptung», erst müsse die Wirtschaft funktionieren, damit für den Staat und vor allem für die Kunst und dergleichen überhaupt Geld vorhanden sei, ist höchstens die halbe Wahrheit. Ich würde sogar sagen, sie sei total falsch. Es ist nämlich genau umgekehrt, und das kann ziemlich einfach nicht nur «rational», sondern auch «empirisch» bewiesen werden: Dort, wo Bildung und Ethik am Boden sind, funktioniert die Wirtschaft garantiert nicht. Denn für eine nachhaltige monetäre Wertschöpfung braucht es eine zivilisierte und vertrauensvolle Kooperation, die man nicht im BWL-Studium lernt (und im MBA-Studium erst recht nicht), sondern nur durch unablässige innere Einkehr und ein unbeugsames Flair für Solidarität. Bis heute hat das keiner besser geschnallt als der alte Konfuzius. Und für Schiller war klar, dass die humane Entwicklung primär über die Kultur bzw. die schönen Künste läuft. In seiner «ästhetischen Erziehung» sind die Bretter der Theaterbühne nichts anderes als ein Spiegel aller Lebenswelten. Die Geschichte seiner «Ode an die Freude» spricht Bände, und jeder grossen europäischen Nation hat er ein Drama mit zahllosen unverblümten Freiheitsbotschaften vermacht. Die Grundformel lautet: Weltverbesserung durch Gesinnungsethik, Lebens- und Liebeskunst.

Doch bis wohin gehen Künste und Zivilisation? Gehören der Eishockeymatch und der Nachtclub auch dazu? Im Grunde ja, aber dann gehört am Schluss alles dazu, und nicht alles ist überlebenswichtig. Vielleicht muss man sich da (und nicht nur im Zug einer Krisenbewältigung) die Frage stellen, was zur Identitätsfestigung, Charakterbildung und Sinnstiftung beiträgt und was vielmehr reine Massenunterhaltung und damit ohnehin eher wieder «Wirtschaft» ist.

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