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Einwurf 440: Olympische Irrtümer

Aktualisiert: 14. Aug. 2021


Nun ist die Olympiade endlich fertig und damit auch deren Überbewertung durch die Nachrichtenagenturen. Über die Ausgabe 2021 haben wir uns grundsätzlich schon im Einwurf 433 geäussert. An dieser Stelle möchten wir uns einfach noch mit drei Irrtümern befassen, welchen viele Leute nach wie vor auf den Leim kriechen.


Irrtum I: «Der olympische Medaillenspiegel ist ein zentraler Indikator für die Bonität eines Staates und - das sagt man natürlich nicht, man denkt es bloss - den Wert seiner Bürger/innen». Dazu nur das: Wenn im Schlittenhüpfen, Buckelpistenkunstlauf, Seitenwagentöffrennen und Weisswurstessen je fünf Medaillensätze verteilt werden, dann sind die Bürger/innen von Paraguay, Haiti, Burkina Faso, Turkmenistan, Laos oder Osttimor von vornherein hoffnungslos verlorene Parias.


Irrtum II: «Erfolgreiche Sportler/innen sind gesellschaftliche Vorbilder». Hier wird eindeutig Qualität mit Quantität verwechselt. Eine Volksschullehrerin muss weder Noten- noch Gymnasiastenrekorde durchpeitschen. Zu einer integralen Handlungskompetenz, d.h. zum optimalen Mix aus Fach-, Methoden-, Sozial-, Kommunikations- und Selbstkompetenz, gelangen ihre Schüler sicher nicht über eine exzessive, ewigwährende Beschäftigung mit einer einzigen eintönigen Aufgabe. Und mit dem (Berufs-)Leben einer jungen 100m-Sprinterin hat dasjenige eines erfahrenen Krankenkassenbürokraten überhaupt nichts zu tun. Wie soll da im Ernst ein «Knowhow-Transfer» funktionieren?


(Nb: Die einzig wahren Vorbilder sind gesinnungsethisch angetriebene Enthüllungsjournalisten, Hacker und Whistleblower. Zu Gunsten der Grundfreiheiten, der Gerechtigkeit und der Verbrechensbekämpfung riskieren sie Kopf und Kragen, Beruf und Einkommen, Partnerschaften oder sogar ihr Leben. Dagegen ist jeder Olympiahürdenläufer ein kümmerlicher Winzling.)


Irrtum III: «Erfolgreiche Sportler/innen sind die besseren Führungskräfte». Dass das nicht so ist, müssten wir gerade in der Schweiz mittlerweile eigentlich sehr gut wissen. «Teamgeist» hin oder her: Der Spitzensport ist per se viel zu kompetitiv, als dass hier Empathie und Solidarität gross gedeihen könnten. Das «Just in Time»-Prinzip ist an sich nicht schlecht, aber ohne eine inklusive Unternehmenskultur kann man es glatt vergessen.


Klar dürfen Sportler/innen über ihre Leistungen «stolz» sein, wenn diese mit fairen Methoden erzielt werden. Sie können auch behaupten, der Sport habe ihre Charakterbildung positiv beeinflusst. Alles andere ist aber schlicht anmassend (von «Nationalhelden», deren Namen man in zwei Wochen schon wieder vergessen hat). Wer sich vegan ernährt und Gedichte schreibt, kann darauf ebenso «stolz» sein. Und vielleicht schaut man bei den nationalen Bonitätsprüfungen eh besser auf die Gewinner von Gartengestaltungs- und Musikwettbewerben. Oder man befördert möglichst viele Modedesignerinnen und Kunstmalerinnen in die Chefetagen von multinationalen Konzernen.


Sie finden das absurd? Wo die ganze Welt nach «kreativen Lösungen» schreit?

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