Einwurf 486: Das kriminelle Kunsthaus
Aktualisiert: 13. Nov. 2021
Seit wenigen Wochen hat das Kunsthaus Zürich eine neue ständige Ausstellung, welche bereits in der ganzen Welt diskutiert wird. Dabei geht es erst in zweiter Linie um deren Qualität. Was die Fachleute bewegt, ist die Frage, auf welche Weise sich Zürich den Status der «Zweiten Hauptstadt des Impressionismus» ergattern konnte. Im Zentrum der Auseinandersetzung steht der Waffenhändler Emil Bührle, der namentlich (aber nicht nur) mit den Nazis lukrative Geschäfte abwickelte und die daraus resultierenden Gewinne in den Kunstmarkt fliessen liess. Seine Sammlung befindet sich jetzt im Kunsthaus. Der Lärm ist natürlich auch deshalb so gross, weil in diesem Fall nun einflussreiche Juden mitmischen. Hätte Bührle mit einem afrikanischen Völkermörder gedealt, würde sich wohl kein Schwein darum kümmern.
Wie auch immer: Raubkunst hat man nicht gern. Aber was ist eigentlich nicht Raubkunst? Nachdem die tapferen Eidgenossen im Jahr des Herrn 1515 durch den französischen König Franz I. ganz knapp und nur dank den Venezianern besiegt worden waren, nahm der gleich auch noch Leonardo da Vinci und dessen Mona Lisa als Kriegsbeute aus Mailand mit. Es heisst, der König habe den Künstler grosszügig abgefunden. Man könnte aber auch von Bestechung oder Erpressung reden.
Vieles, was im Louvre und im British Museum herumsteht, wurde zwar auch nicht unbedingt direkt gestohlen, aber mitunter doch viel zu billig und/oder im Austausch mit kriminellen Gegenleistungen zusammengekramt. Selbstverständlich alles auch ohne Mitsprache jener Bevölkerungen, aus deren Kulturraum die Gegenstände schliesslich entfernt wurden. Schlaumeier wie André Malraux sagten dann jeweils, die Leute dort wären ohnehin nicht in der Lage, ihr Kulturgut sorgfältig zu pflegen. Also weg damit in einen europäischen «Zoo». Und in Amerika geht gerne vergessen, dass man natürlich erst dann von Kunstraub sprechen kann, wenn überhaupt noch irgendetwas vorhanden ist - zum Beispiel nach dem Genozid an den Indianern. Analog zu Israel: Wer ein Land als solches besetzt (wie Palästina), bemächtigt sich automatisch auch des (kollektiven) Kulturguts dieses Landes.
Raubkunst wird allerdings primär mit den Nazis und ihren umfassenden Verbrechen in Verbindung gebracht. Darum stellt sich ja auch die Frage, ob und wie Bührle direkt oder indirekt davon profitiert hat und ob er selber ein Nazi war. Egal wie die Antwort ausfällt: Die ausgestellte Kunst wird deswegen nicht schlechter. Wer die Bührle-Gemälde wieder abhängen will, muss auch die vatikanischen Museen mitsamt der Sixtinischen Kapelle schliessen. Dringend nötig ist hingegen eine Markttransparenz, welche es erlaubt, die Entstehungs- und Lebensgeschichte eines Kulturguts in allen relevanten Facetten kennen zu lernen. Die Lektion für die Zukunft wäre dann die, dass es nie mehr zu Kunstraub und Raubkunst kommen wird. (Zum Arzt muss nicht, wer eine Vision hat, sondern wer keine hat.)
(Weiterführende Literatur: «Das kontaminierte Museum», von Erich Keller)
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