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Einwurf 532: Kulturschlachtfelder

Aktualisiert: 25. Feb. 2022


Im Zürcher Schauspielhaus läuft zurzeit eine «Neufassung» des «Rings des Nibelungen». Deren Autoren sagen, man soll Wagners zu grossen Teilen hier entstandenen Ring besser nicht mehr aufführen, weil es sich um ein «grössenwahnsinniges Werk» handle, das «Menschenverachtung und Grausamkeit, Rassismus und Misogynie, Antisemitismus und Nationalsozialismus» in die Welt trage (und das wohlverstanden bereits im 19. Jahrhundert). Mit der gleichen Logik müssten sie allerdings auch die Bibel verteufeln, wo sich vom Pentateuch bis zur Apokalypse die Genozide buchstäblich aneinanderreihen, wo Gott ein alter weisser Mann ist und wo mit Ausnahme der heiligen Maria die Frauen an praktisch allen Übeln schuld sind. Dagegen ist die «Götterdämmerung» ein Klacks. Selbst den sentimentalen Verdiopern müssten sie an den Kragen gehen, Othello zum Beispiel oder Don Carlos (und damit auch Allzeit-Geistesgrössen wie Shakespeare und Schiller), wo Glaubenskriege, Inquisitionen, Eifersuchtsrasereien und dergleichen weit davon entfernt sind, den Austausch von Zärtlichkeiten zu beflügeln. (Auch die Frauenfiguren von Verdi sind nicht stärker als jene von Wagner.) Koran verteufeln, Karl Marx verteufeln, alles verteufeln, was man wie eben Wagner «nicht kennt und nicht versteht»: Wo ist da am Ende der Unterschied zu den bösen Nazis?


Hinzu kommt, dass es nicht nur den «Ring des Nibelungen» gibt, sondern auch das Nibelungenlied, die Nibelungensagen als solche und schliesslich die ganze altgermanische Mythologie. Das alles ist sehr kompliziert, erst recht, wenn man noch die Berührungspunkte mit den keltischen «Märchen» berücksichtigt. Lauter gefundene Fressen übrigens auch für zeitgenössische Fantasy-Kitschautoren und für Hollywood, wo sie ihrerseits alles andere als zimperlich sind, wenn es um Abschlachtungen und Frauenverachtung geht. (Es gibt keinen schlechteren Sex als jenen aus Hollywood; oral zum Beispiel geht da rein gar nie was.)


Das «Blöde» an der ganzen Geschichte ist natürlich, dass Wagner auf höchster Ebene geniale Musik komponiert hat. (Besser waren nur noch Beethoven und Bach.) Etwa so, wie Michelangelo genial gemalt hat. Aber die Autoren des neuen «Ring» gehen sicher auch nicht mehr in die Sixtinische Kapelle. Sie werden sagen, die heidnischen Sibyllen dort hätten die gleiche verführerische «Schmiermittelfunktion» wie die «stattlichen Liebesgeschichten» in den Wagneropern. In ihrer «Neuversion» stehen sie Wagner dann aber doch viel näher als man das auf der Grundlage ihrer Auffassungen und Ankündigungen erwarten konnte. Allein schon ihre Musik ist mindestens so «langfädig und holla-weia-lastig» wie das «Vorbild». Und indem sie den Verlierern des «Ringsystems» die Stimme geben, die sie (vor allem heute) verdienen, handeln sie durchaus in Wagners Sinn. Der hatte den Siegfried sogar für einen «germanischen Jesus» gehalten. Mit dem Goldrausch und den damit verbundenen Morden wollte er auch zeigen, dass Geld und Macht keine Lebensqualität bringen, sondern so ziemlich das Gegenteil. Damit die Welt wieder zur Ruhe kommt, muss darum das verfluchte Gold am Schluss auch wieder in den Rhein hinab. Für die Zürcher Theaterbesucher gibt es stattdessen eine Art «Amnesty-Kerzen», fast wie Hostien in der Messe.


Das Spektakel ist aber gut gemacht, und es ist schade, dass mehrere sehr gehaltvolle Monologe, besonders der von Wotan, von dem rasenden Tempo und dem lauten Geschrei verschluckt werden, mit denen man sie vorträgt. Doch das kennen wir leider von anderen Aufführungen schon.


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