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Einwurf 82: Anfang und Ende


Die Bibel beginnt mit dem Satz, dass «am Anfang» Gott den Himmel und die Erde schuf. Der eigentliche Anfang war also ein ausserhalb von Himmel und Erde wirkender Gott. Der Evangelist Johannes präzisiert: «Am Anfang war das Wort, und das Wort war bei Gott, und Gott war das Wort. Dasselbe war im Anfang bei Gott. Alle Dinge sind durch dasselbe gemacht, und ohne dasselbe ist nichts gemacht, was gemacht ist. In ihm war das Leben, und das Leben war das Licht der Menschen». Ähnliche Konzepte sind im Hinduismus (Rigveda) und im Taoismus (Laotse) nachzulesen.

Goethes Faust findet das diskussionswürdig, zumindest solange er sich noch von seinem Pudel und nicht schon vom Teufel inspirieren lässt. Er zweifelt an der Übersetzung und behauptet, es müsse «Sinn» heissen und nicht «Wort». Aber der «Sinn» passt ihm nicht lange, auch die «Kraft» verwirft er gleich wieder; schliesslich kürt er die «Tat» zum besten aller Anfänge.

Man kann den biblischen Gott oder dessen «Weltschöpfung» auch mit einem Urknall gleichsetzen, der in seinem Kern alles enthält, Himmel und Erde, Leben und Menschen. Bleibt die Frage des Primats: Huhn oder Ei? Für Platon steht der Geist der Ideen über dem Reich der Materie; darin nimmt er Johannes vorweg und stimmt so auch mit Jesus überein (was Nietzsche sehr genervt hat). Aristoteles sieht das anders, wenn auch nicht gerade umgekehrt, und darum weist seine Hand in der «Schule von Athen» nach vorn und nicht nach unten. Er hat es eben lieber «balanciert», «dialektisch» oder «synthetisch», so wie später Kant mit dem Versuch, Descartes’ abstrakten Rationalismus mit Humes sinnlicher Körperlichkeit zu verknoten. Klare Verhältnisse dafür wieder bei Hegel; ihm geht es letztlich nur darum, welcher «Geist» denn nun der erste war und welcher der letzte sein wird. Ähnlich bei Marx, halt einfach «unten» auf der Seite des Eis bzw. der Materie. Beide haben aber, trotz weitgehend oder völlig atheistischer Ausgangsposition, biblisch-augustinisch inspiriert einen Entwicklungsprozess beschrieben, der, egal wie erdig er beginnt, im Himmel endet.

Fazit: Was wirklich zählt, ist das Ende und der Weg dazu. Für dessen Bewältigung mag die Kenntnis des Anfangs zwar dienlich sein, mehr aber nicht. Denn wer im Anfang nur tote Materie oder böse Geister ohne organisches und moralisches Entwicklungspotenzial sieht, hat von vornherein verloren, verbreitet eine schlechte Stimmung und nützt so auch der Gesellschaft nichts.

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