Einwurf 657: Theatergipfel
«Kulturdemokratie»: Letzte Woche hat das Schauspielhaus Zürich zu einem «Publikumsgipfel» eingeladen. Da konnte man den Theaterbetrieb kritisieren und Zukunftswünsche äussern. Was bei der nächstens eh abtretenden Intendanz davon hängenbleibt, weiss der liebe Gott. Sicher ist, dass die Teilnehmer des «Publikumsgipfels» nicht die wichtigsten Schauspielhaus-Stakeholder sind. Trotzdem sind solche Veranstaltungen begrüssenswert – immerhin gab es Gratisbier und am Schluss sogar noch ein Käsebuffet.
Das «Zukunftstheater» des Schauspielhauses hängt von zahlreichen verschiedenen Erfolgsfaktoren ab. Ohne Vision und daraus abgeleitete strategische Ziele geht es aber nicht; das ist hier nicht anders als in der Wirtschaft und in der Politik. Natürlich kann man sich dann schon auf dieser Grundebene zwischen einer eingemeisselten «Linie» und situativen Improvisationen entscheiden. Oder beides parallel betreiben, aber so wird es mit dem «Profil» nicht ganz einfach. Dasselbe gilt für die «Grundrolle» des Theaters: Soll es «bloss» für gute Unterhaltung sorgen oder ernsthaft zu einem substanziellen Wertewandel beitragen? Oder wieder sowohl als auch?
Nächste Frage: Will man mit einem saisonalen Motto operieren, und welche Themen packt man damit ein? Sind es aktuelle oder zeitlose? Oder erneut das eine und das andere? Bei der Infrastruktur sind gewisse «Antworten» schon da: Man verfügt über zwei Aufführungsorte, kann jedoch auch «extern» aufführen, in- und outdoor. Eine Grundfrage ist ohnehin die, ob man strategisch von den Ressourcen ausgehen soll und das ganze Programm aus der Infrastruktur, der Technik, den Finanzen und dem Personal, die gerade verfügbar sind, herausgestalten soll. Viele kommerzielle Betriebe, NGOs und sogar staatliche Betriebe machen das auch so. Ich empfehle es aber nicht; die Ressourcen sollten nachgeordnet bleiben und nicht den Ton angeben. Denn je besser die visionäre Strategie greift, desto weniger Sorgen hat man mit dem Geld, und die guten Leute strömen automatisch herbei.
Zur «Ausrichtung»: «Elitär», inkl. Klassiker mit «werktreuen» (Erstübersetzungs-)Texten, «populär» Richtung Schwank oder «avantgardistisch» mit Uraufführungen und Arrangements (auch von Romanen)? Oder auch hier alles zusammen? Dito beim Inszenierungsstil: Asketisch-reduktionistisch vs. grell-opulent (Multimedia, synästhetisch, Sinnentheater mit Gerüchen, Nahrungsmitteln usw.).
Da das Schauspielhaus nicht der einzige städtische Theaterveranstalter ist, muss man sich auch über die Arbeitsteilung unterhalten. Konkurrenziert man die «Kleinen» oder grenzt man sich klar von ihnen ab? Vielleicht sind Koproduktionen angesagt, vor allem auch mit Betrieben anderer Sparten der «schönen Künste» (Stichwort: «Gesamtkunstwerk»), oder selbst mit wirtschaftlichen und politischen «Akteuren». (Ebenfalls unter den Titeln «Kooperation» und «Allianzen» laufen die Gastspiele in und von «fremden» Theatern.)
Nicht vergessen: Das «Begleitprogramm» zu den «Kernaufführungen» und/oder zum Saisonmotto: Lesungen, Vorträge, Publikationen, Ausstellungen, Filme, Konzerte usw. Damit befinden wir uns auch schon im Bereich der Öffentlichkeitsarbeit und der «Vertrauensbildung» (ein «Tischthema» am «Gipfeltreffen» - da marschiert man im Gleichschritt mit dem WEF). Das Stichwort hier ist «Inklusion», sowohl in der Konzipierung als auch in der Ausführung. An Anspruchsgruppen herrscht kein Mangel: «Treue Abonnenten», Immigranten, Junge, LGBTI+++ usw. Vielleicht orientiert man sich primär an denen und stellt sich so einen «Profilmix» zusammen, der allen etwas bringt, ohne dass am Schluss aber auch das Schauspielhaus Zürich im eidgenössischen Wischiwaschi-Konkordanz-Reformstau erstickt.
Die abtretende Intendanz war diesbezüglich ganz gut unterwegs. Die Frage ist, ob da jemand ist, der es noch besser kann. (Meine Antwort, Stand heute: Eher nicht.)
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